„Die Wärmepumpe ist der Standard, andere Heizungen die Nischenlösungen...“
... sagt Dr. Patrick Graichen, Geschäftsführer des Thinktanks Agora Energiewende.
BWP: Herr Graichen, 1 000 000 Wärmepumpen in Deutschland – was fällt Ihnen dazu als erstes ein?
Patrick Graichen: Die Wärmepumpe ist eine unserer Schlüsseltechnologien, um die Wärmewende zum Erfolg zu bringen. Wir sind aber noch lang nicht da, wo wir sein müssten in Sachen Stückzahlen und Marktdurchdringung.
Was soll mit dem „Eine-Million-Wärmepumpen- Programm“ gemäß der Agora-Studie „Der doppelte Booster“ erreicht werden?
Wie sehen in unseren Szenarien, dass wir bis 2030 fünf bis sechs Millionen Wärmepumpen im Wärmemarkt brauchen und 2050 dann sogar 12 bis 14 Millionen. Und dafür braucht es eine völlig andere Gangart als heute, wo wir etwa 100 000 Wärmepumpen im Jahr verbauen. Und deswegen haben wir diese Eine- Million Wärmepumpen-Initiative vorgeschlagen, um den Markthochlauf hinzubekommen.
Sie haben kürzlich ein „Fünfeck“ für die Wärmewende vorgeschlagen. Welche Maßnahmen könnten speziell die Wärmepumpen-Technologie voranbringen?
Zum einen braucht die Wärmepumpe einen günstigen Strompreis, damit sie konkurrenzfähig ist. Wesentlich ist, dass wir bei der CO2-Bepreisung weitermachen. Öl und Gas werden sukzessive teurer, und die Einnahmen werden genutzt, um die EEG-Umlage und damit den Strompreis zu senken. Die zweite wichtige Maßnahme ist sicher Förderung. Das Dritte ist das Ordnungsrecht. Das Heizen mit Ölkesseln muss im Gebäudebestand verboten werden. Und mit ein paar Jahren Verzögerung auch Gaskessel.
Welche Empfehlungen und Forderungen haben Sie für die Wärmepumpenindustrie?
Das Mindset der Wärmepumpenindustrie darf nicht mehr sein: Wir sind der kleine Bruder der großen Gasthermenwelt. Sondern umgekehrt ist die Wärmepumpe der Standard, und die anderen Heizungen sind die Nischenlösungen. Um genau da hinzukommen, brauchen wir Stückzahlen von 400 000 Wärmepumpen pro Jahr. Dafür muss die Wärmepumpenindustrie ihre Fabriken sehr viel stärker automatisieren.
Wie wird der Gebäudesektor in 2050 aussehen?
Der Gebäudesektor 2050 ist komplett klimaneutral. Das heißt, Ein- und Zweifamilienhäuser sind saniert und werden mit Wärmepumpen beheizt. In den Innenstädten werden Gebäude durch Fernwärme versorgt. Diese Fernwärmenetze haben viele CO2-freie Wärmequellen wie große Wärmepumpen, Geothermie, Solarthermie, Abwärme aus der Industrie und einen kleinen Anteil Wasserstoff.
Wie heizen Sie persönlich?
Wir haben im Keller eine Pelletsheizung stehen, die mit einer Solarthermieheizung auf dem Dach kombiniert ist.
Dr. Patrick Graichen
,,Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsund Zukunftsprogramm für Deutschland, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/1960er-Jahren.“
AGORA-STUDIE IN KOOPERATION MIT DER STIFTUNG KLIMANEUTRALITÄT
Innerhalb von 30 Jahren kann Deutschland sich in eine klimaneutrale Nation umbauen und weiter an Wohlstand und Wirtschaftskraft gewinnen. Hierzu bedarf es eines umfassenden Investitionsprogramms, das den Ausbau der erneuerbaren Energien prioritär vorantreibt, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie umfasst, die energetische Sanierung fast aller Gebäude beinhaltet und den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur anstößt. In einem ersten Schritt würden die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Daran würde sich ein zweiter Schritt mit einem vollständigen Umstieg auf klimaneutrale Technologien anschließen, so dass die Emissionen um 95 Prozent sinken. Mit einem dritten Schritt würden schließlich nicht vermeidbare Restemissionen durch CO2- Abscheidung und -Lagerung ausgeglichen. So lauten die wichtigsten Ergebnisse einer umfangreichen Studie, die im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität erarbeitet und deren Zusammenfassung im Oktober 2020 vorgestellt wurde.
Patrick Graichen
Patrick Graichen hat 2012 Agora Energiewende mit aufgebaut und leitet die Denkfabrik seit 2014 als Direktor und Geschäftsführer. In dieser Zeit hat er kontinuierlich Impulse im Bereich der Klima- und Energiepolitik in Deutschland, Europa und international gegeben.
Bevor er zu Agora Energiewende kam, arbeitete er von 2001 bis 2012 im Bundesumweltministerium, zuletzt als Referatsleiter für Klimaund Energiepolitik.
Mit der Energiewende befasst sich Graichen schon seit seiner Studienzeit. Er hat in Heidelberg und im britischen Cambridge Politik- und Volkswirtschaft studiert und an der Universität Heidelberg zu kommunaler Energiepolitik promoviert.