Insel auf dem Land und kalte Wärme

Siedlungen und Quartiere, also ein Ensemble oder einen ganzen Stadtteil mit Wärme und Kühlung
zu versorgen, hat oft Vorteile gegenüber einer Anlage für ein einzelnes Haus. Je nach den örtlichen
Gegebenheiten kann das optimale Konzept sehr verschieden aussehen. Interessante neue
Möglichkeiten mit Wärmepumpen bietet ein Strom-Wärme-System – oder auch „kalte“ Nahwärme.
Das zeigen Beispiele wie Petershagen und Kronau.

Petershagen/Eggersdorf ist eine 15 000-Einwohner-Gemeinde rund zehn Kilometer vor der Berliner Stadtgrenze. Bis Juli 2021 werden in sechs neue Mehrfamilienhäuser der Wohnanlage „Energieinsel Petershagen“ um die 200 Mieter eingezogen sein.

Die Häuser und das zugehörige Wellness-Gemeinschaftshaus werden nach der Fertigstellung jedoch nicht etwa auf einer Insel im nahegelegenen Giebelsee, sondern auf Brandenburger Festland stehen. Sie sind nur energietechnisch gesehen eine nahezu autarke „Insel“ – durch ein Strom-Wärme- (Kühlungs)-System mit je einer 38-kWth Erdwärmepumpe in jedem Gebäude sowie zusammen 500 kWp Photovoltaik auf den asymmetrischen Satteldächern und den Carports.

 

Nahezu energieautarke Wohnanlage

„Nahezu“ autark heißt hier: Anfang Februar könnte man den Simulationen zufolge die Häusergruppe vom öffentlichen Stromnetz trennen und erst Ende November wieder einklinken – wollte man nicht die Überschüsse des zu erwartenden Solarstrom-Jahresaufkommens von 500 000 kWh einspeisen. Nur im Dezember und Januar wird voraussichtlich zeitweise Netzstrom gebraucht; aber auch da dürfte der Autarkiegrad für Strom und Wärme bei 85 Prozent liegen. Wie das möglich ist, obwohl keine Gasleitung aufs Grundstück geht, kein Lkw Heizöl oder Holz anliefert? – Sowohl das Konzept als auch die Komponenten reizen bis ins Detail den Stand der Technik aus.

Eine private 400-Volt-Ringleitung führt in alle sieben Gebäude. Und eine zentrale Steuerung ermittelt ständig in Echtzeit, welches Haus aktuell wieviel Strom und Wärme benötigt. Kann der Strom aus den Solarmodulen gerade nicht direkt als Haushalts-, Allgemein- oder Elektroauto-Ladestrom verwertet werden, wird er als Wärme in einen von 28 Warmwasser-Pufferspeichern mit je 1000 Liter Inhalt eingelagert.

 

Wärme als Strom transportieren

Das geschieht mit mehrfachem zusätzlichem Wärmegewinn aus Erdwärme-Tiefenbohrungen neben jedem Haus über die sieben Wärmepumpen oder – falls zu kurzzeitig dafür – einfach über Heizstäbe in den Pufferspeichern. Sind die Pufferspeicher schon heiß genug, geht die elektrische Energie in einen der brandsicheren Lithium-Ionen-Akkus. Von diesen Solarspeichern ist eine Kapazität von 36 Kilowattstunden pro Gebäude installiert.

Durch die elektrische Ringleitung können Verschiebe-, Speicher- und Pufferungsvorgänge Energie von jedem Haus zu jedem anderen transportieren. Das senkt, ähnlich wie bei einem Nahwärmenetz, den Gleichzeitigkeitsfaktor und hält so Aufwand und Kosten niedrig.

Aber wie kommt nun die Wärme in die Wohnungen? Das Heizungswasser wird zu Wohnungsstationen hochgepumpt. Als Vorlauftemperatur reichen etwa 38 Grad, denn es werden Fußbodenheizungen eingesetzt, und alle Häuser sind nach KfW-Effizienzhaus- Standard 55, 40 oder sogar 40 Plus geplant. Davon getrennte Leitungen vom Speicher zu den Plattenwärmeüberträgern in den Frischwasserstationen jeder Wohnung führen im Vorlauf etwa 48 Grad heißes Wasser.

Als i-Tüpfelchen kühlt das System die Räume im Sommer passiv. Dadurch hat im September die Soleflüssigkeit etwa 18 Grad – durch zusätzliche Energie aus der angewärmten Sondenumgebung.

Miete enthält Strom und Wärme

Beim Verwirklichen seines Konzeptes konnte Planer Denis Rücker auf eine Sole-Wasser-Wärmepumpe mit Einspritztechnik und zwei Kompressoren zurückgreifen, die je nach Wärmeanforderung in verschiedenen Stufen und Stärken arbeiten. Der SCOP-Wert soll im Regelbetrieb bei mindestens 5,5 liegen. Das Zusammenspiel von Konzept und Geräten erlaubt es dem Investor und Vermieter, eine für 25 Jahre konstante Festmiete anzubieten, in der eine kostenlose Wärmelieferung sowie die Klimatisierung enthalten sind. Der Strom wird an die Mieter verkauft, und zwar zu einem Kilowattstunden- Mischpreis, der 90 Prozent des Grundversorgertarifs entspricht. Alle Wohnungen waren jeweils vor Baubeginn bereits vergeben.

Allzweckwerkzeug Wärmepumpe auch für Biogas

Szenenwechsel. Kronau, eine Gemeinde etwa in der Mitte zwischen Karlsruhe und Heidelberg mit 6000 Einwohnern. Andere Gegebenheiten – öffentliche Hand statt Privatinvestor, Beschränkung auf Wärme und aktive Kühlung, statt einer Neubau- Wohnanlage acht kommunale Bestandsgebäude wie Schulen und Sportstätten und knapp drei Dutzend 1980er-Jahre-Wohnhäuser – haben hier zu einem anderen Ansatz geführt.

Nämlich nicht zu einem privaten elektrischen Netz als Rückgrat, sondern zu einem 1200-Meter- Nahwärmenetz, das der Planung zufolge ab 2023 Wärme aus Biogas und Holzhackschnitzeln verteilen soll. Doch obwohl hier so gut wie alles anders ist als in Petershagen, sind auch die Kronauer Planer beim Allzweckwerkzeug Wärmepumpe gelandet.

Nahwärmenetze, eine Art kleines Fernwärmenetz, haben mit dem Aufkommen von mittleren oder kleinen Heizwerken und Heizkraftwerken stärker Fuß gefasst – außerhalb von Werksgeländen, auf dem Land auch oft in „Bioenergiedörfern“. Zum Beispiel gibt es 80 Kilometer südlich, in Pfalzgrafenweiler, ein großes Projekt ebenfalls mit Hackschnitzeln und Biogas. Dort gehen allerdings über 15 Prozent der Wärme unterwegs ins Erdreich verloren.

Nahwärmenetz fast ohne Übertragungsverlust

Auch im Kronauer Zentrum soll aus verschiedenen Gründen ein Viertel der Länge als konventionelles Netz mit 70 Grad im Vorlauf und 50 Grad im Rücklauf ausgeführt werden. Drei Viertel aber werden 40 Grad im Vorlauf und sogar nur fünf Grad im Rücklauf haben.

Die fünf Grad Rücklauftemperatur, die diesem Netz die paradoxe Kategorisierung als „kaltes“ Nahwärmenetz einbringen, führen zu einem Temperaturgewinn von bis zu fünf Grad aus dem umgebenden Erdreich, was in Kronau 32 000 Kilowattstunden Wärmegewinn pro Jahr entspricht. Dieser gleicht den ohnehin niedrigeren Verlust im 40-Grad-Vorlauf so gut wie aus. Zudem lässt sich der „kalte“ Rücklauf an anderer Stelle als Quellmedium fürs Kühlen nutzen. Das alles geht nur, weil die Gebäude am kalten Netz für ein altbautaugliches Temperaturniveau mit Wärmepumpen ausgestattet werden.

Den Strom für diese Wärmepumpen, für eine Großwärmepumpe am 70/50-Netz, für kleine Warmwasser- Wärmepumpen in manchen Objekten und für die Hydraulikpumpen für den Netzdurchfluss wird ein Biogas-BHKW liefern, dessen Abwärme wiederum in die beiden Wärmenetze geht. Unter dem Strich wird das Kronauer Projekt etwas über drei Millionen Kilowattstunden Wärme pro Jahr mit einem Erneuerbaren-Anteil von 95 Prozent bereitstellen und gegenüber heute gut 90 Prozent CO2 einsparen.

Keine kalte Nahwärme ohne Wärmepumpe

Bei Systemen mit kalter Nahwärme gibt es solche mit und ohne Erdsonden, Erdkollektoren (Quartier Noorblick in Eckernförde) oder Brunnenanlage, mit unterschiedlichen Wärmequellenkombinationen und Netzgeometrien. Die Vorlauftemperatur kann sich um zehn Grad oder mehr von der in Kronau unterscheiden oder nur im Sommer stark abgesenkt werden. Es gibt Systeme ohne konventionellen Warmnetzanteil und solche mit – wie in Kronau oder auch am Henninger Turm. Immer aber gilt: Keine kalte Nahwärme ohne Wärmepumpe.

Dagegen ist andersherum kalte Nahwärme keine Voraussetzung für den Einsatz von Wärmepumpen in der Quartiersversorgung, wie man aktuell in Petershagen sehen kann, sowie bei diversen, seit Jahren reibungslos arbeitenden Anlagen wie der in Greven nördlich des Ruhrgebiets.

Und sogar, wenn in einem Stadtteil die Häuser ganz unabhängig voneinander beheizt werden, sind Synergieeffekte möglich. Der Stromversorger Unterfränkische Überlandzentrale in Lülsfeld beispielsweise hat in Neubaugebieten angeboten, für alle interessierten Bauherren die Erdwärmesonden gebündelt erstellen zu lassen – der Zuspruch lag in der Summe bei über 90 Prozent.