Geothermisches Potenzial optimal nutzen

BWP: Frau Walker-Hertkorn, Sie sind seit über 20 Jahren im Erdwärme- Planungsgeschäft und lassen auch als Wissenschaftlerin und Mitglied im VDI-Richtlinienausschuss den Blick oft zum Horizont schweifen. Wo geht die Entwicklung hin seit der „Bauen auf Erdwärme“-Kampagne vor fünf Jahren?

Simone Walker-Hertkorn: Das Interesse jedenfalls an geothermischen Wärmequellen wie auch das Interesse an einer Fachplanung im Bereich der Geothermie ist die letzten Jahre gestiegen. Der Geothermie-Part gewinnt an Bedeutung. Gründe dafür sind der Facettenreichtum, die Vielzahl an geothermischen Lösungsmöglichkeiten, die zunehmende Anlagengröße und natürlich in Summe das steigende Interesse an dem Thema Effizienz, CO2-Einsparung und somit an dem System Wärmepumpe.

Und was erwarten Sie in den kommenden fünf Jahren an Neuem?

Was von Industrie-Projekten zum Heizen und Kühlen schon bekannt ist, kann ähnlich auch auf große Wärmequartiers- Konzepte übertragen werden: Wärme aus dem Gebäude bzw. Abwärme oder Überschusswärme wird im Sommer zur Regeneration in das Sondenfeld geführt, und im Winter wird die Wärme wieder entnommen.

Wir arbeiten seit zwei Jahren mit Partnern an einem Projekt, bei dem großflächige Solarthermieanlagen und Erdwärme in Kombination das Ziel einer fast CO2-freien und ökonomischen Quartiersversorgung verfolgt. Dabei entsteht der derzeit größte Erdbecken-Wärmespeicher mit circa 18 000 Kubikmetern Flüssigkeitsvolumen in Deutschland. Der Fokus bei dem Projekt ist auf die Solarthermieanlage gerichtet, aber auch eine etwa 400-kW-Wärmepumpe ist in das System integriert. Die Wärme wird von den beiden Quellen im Verhältnis 7 zu 3 kommen; ein paar Prozent von einem Gas-Spitzenlastkessel, der redundant eingesetzt werden kann, führen dann zu einer sicheren Versorgung. Standort ist ein neuer Stadtteil für 2000 Einwohner in Hechingen, nahe Tübingen. Das Projekt ist vom Stadtrat bereits beschlossen und wird in vielleicht zwei Jahren umgesetzt werden.

Gibt es abgesehen von der Speichergröße noch etwas Besonderes?

Die Besonderheiten in diesem Projekt ist die Einbindung des Erdbecken- Wärmespeichers in eine laufende Erddeponie, die in diesem Zuge stillgelegt wird. Die Erddeponie ist in der Nähe des neuen Quartiers. Die Deponie ist noch nicht ganz aufgefüllt. Man kann Bereiche, in die das Erdbecken hineingesetzt wird, frei lassen.

Auch der erwartete Wärmepreis von 15,7 Cent pro Kilowattstunde ist ungewöhnlich und dass diese Lösung aufgrund des hohen Anteils an Geschosswohnungsbauten die wirtschaftlich attraktivste Lösung ist.

Sie haben Erfahrung mit etlichen großen und sehr großen Vorhaben, bis hin zum Henninger Turm und Henninger Areal mit zusammen 38 000 Sondenmetern. Was ist die wichtigste Lehre, die Sie für zukünftige Projekte sehen?

Ich rate immer zu einem Monitoring nach der Installation. Wenn die ersten Leute einziehen, sind viele Regelungsparameter und -einstellungen vielleicht schon vier, fünf Jahre alt. In dieser Zeit verändert sich das Nutzerverhalten.

Räume werden anders genutzt als konzipiert. Häuser werden vielleicht sogar kleiner und nicht so schnell gebaut wie erwartet – und so weiter. Mit dem Monitoring kann ich Reserven ausloten, flexibel reagieren und gegebenenfalls die laufenden Kosten merklich senken.